
Einführung
In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft gewinnt Barrierefreiheit in der App und Web Entwicklung zunehmend an Bedeutung. Dabei spielen sicher die gesetzlichen Vorgaben der BITV 2.0 eine wichtige Rolle, aber auch Betriebräte von Großunternehmen achten vermehrt auf die Teilhabe von behinderten Menschen am Arbeitsleben und gerade auch bei der Nutzung digitaler Medien.
Je mehr sich der Lebensmittelpunkt vieler Menschen auch im Internet und auf dem Smartphone abspielt, desto mehr müssen wir als Entwickler von digitalen Median wie Apps und Webseiten uns mit Herausforderungen beschäftigen, welche vielleicht nicht sofort offensichtlich zu erkennen sind.
Barrierefreiheit hilft übrigens nicht nur dauerhaft behinderten Menschen, sondern auch solchen, die auf Grund eines Unfalls oder einer Krankheit vorübergehende Einschränkungen erfahren.
Aspekte von Barrierefreiheit
Barrierefreiheit ist nicht nur im Sinne der Überwindung physikalischer Hindernisse zu sehen, sondern auch zunehmend im abstrakteren Sinne, der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von digitalen Inhalten und Diensten.
Sehen
Dies beginnt mit simplen Dingen, wie Farben und Kontrasten. Hierzu gibt es diverse Tools, die Designer bei der Erstellung von barrierefreien Designs unterstützen und damit die Basis für die anschließende Umsetzung darstellen.
Oft im Fokus steht das Vorlesen von integrierten Texten sowie dem klaren Beschreiben und Erklären von Bildinhalten. Es erfordert aber auch das Einbinden von plattformspezifischen Hilfsmitteln wie zum Beispiel UIAccessibility im Bereich iOS oder Talkback für Android.
UIAccessibility bzw. Talkback beinhalten Werkzeuge, welche für die beeinträchtigten Nutzern eine eigenständige Benutzung aller Aspekte eine Applikation ermöglichen, indem sie Ihnen eine für sie aufbereitete Benutzeroberfläche bieten. So kann beispielsweise durch eine komplexere Gestensteuerung, und das Hinterlegen von diversen leicht auslesbaren Metadaten, ganz oder teilweise blinden Nutzern die Bedienung einer Applikation erleichtert werden.
Motorik
Hier stellen komplexe Gestensteuerung oder auch die Mausbedienung in ihrer Motorik eingeschränkte Menschen vor große Herausforderungen. Die Lösung liegt darin, alternative Bedienungsmethoden ohne komplexe Gesten oder mittels Tastaturbedienung zu realisieren.
Sprachverständnis
Um Menschen mit eingeschränktem Sprachverständis, aus welchen Gründen auch immer, das Erfassen von Texten zu erleichtern, werden Inhalte alternativ in leichter Sprache dargeboten. Das hilft sowohl Menschen mit Lernschwierigkeiten sowie auch Menschen, für die die jeweilige Sprache nicht die Muttersprache ist.
Konzeption von Anfang an auf Barrierefreiheit ausgerichtet
Diese Hilfsmittel setzen idealerweise voraus, dass ein Produkt von Beginn an auch unter Aspekten konzeptioniert und umgesetzt wird, welche dem Durchschnittsnutzer – aber auch dem umsetzenden Team – teilweise oder auch vollkommen fremd sein mögen.
Es empfiehlt sich an dieser Stelle auch auf verschiedenste Weise eingeschränkte Nutzer von Anfang an, an der Entwicklung von Software teilhaben zu lassen. Nur so kann dem Anspruch entsprochen werden, auch ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Checkliste
Nachfolgende Checkliste wurde entwickelt, um die Umsetzung einer barrierefreien App zu planen:
1. Von Anfang an Barrierefreiheit thematisieren
Bereits zu Beginn eines App-Projektes sollte eine bewusste Entscheidung getroffen werden, wie tiefgehend die Barrierefreiheit erforderlich ist und berücksichtigt werden soll. Bereits vom ersten Layout an sollte barrierefrei entwickelt werden.
2. OS-spezifische Vorteile kennen und nutzen
Informieren Sie sich im Vorfeld darüber, welche Werkzeuge eine Plattform zur Verfügung stellt, um effizient planen und entwickeln zu können.
3. Benutzerführung an individuelle Beeinträchtigungen anpassen
Behalten Sie stets im Blick, welche Informationen Sie dem Nutzer zur Verfügung stellen müssen, um ihm einen möglichst übersichtlichen Weg durch die App zu bereiten. Hier ist zum Beispiel auch wichtig, in welcher Reihenfolge Elemente vorgelesen und auswählbar gemacht werden. Hat der Nutzer alle Informationen erhalten, welche er zu seiner Entscheidung benötigt? Weiß der Nutzer, wo er sich innerhalb der App befindet und welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen?
4. Mögliche Veränderungen durch Werkzeuge der Barrierefreiheit bedenken
Einem durch Behinderungen eingeschränkten Nutzer stehen andere Werkzeuge zur Verfügung als einem Standardnutzer. Diese Tools können dazu führen, dass OS-Callbacks sich anders verhalten oder versteckte Schaltflächen sichtbar werden. Diese Abweichungen gilt es zu prüfen und zu berücksichtigen.
5. Beeinträchtigte Nutzer als Tester
Kein noch so ausgeklügelter Testaufbau schafft es, die Sicht eines beeinträchtigten Nutzers zu simulieren. Deshalb nehmen Sie einen Tester aus der jeweiligen Zielgruppe hinzu. Die Perspektive dieser Nutzer ist im Testing unbezahlbar, um die Qualität der Implementierung zu gewährleisten.
6. Ressourcen effizient bündeln
Es wird immer Features geben, welche extrem schwer oder gar unmöglich in einer barrierefreien Variante umzusetzen sind. Statt sich dabei festzufahren, zögern Sie nicht, diese Features zu vereinfachen oder sogar komplett für einige Nutzer wegzulassen. Konzentrieren Sie sich lieber darauf, auch beeinträchtigten Nutzern eine durchgehend hochqualitative Software zu präsentieren.
Schlussfolgerung
Natürlich bringt diese tiefergehende Betrachtung einen gewissen Aufwand mit sich. Diesen sollten Unternehmen jedoch als Chance und Herausforderung begreifen und nicht als Hindernis.
Auf dem momentanen Markt stellt eine kompetent umgesetzte Unterstützung der oben genannter Elemente, außer vielleicht im öffentlichen Bereich, noch eher eine Seltenheit dar. Grade daraus entsteht ein wichtiges – durchaus auch emotionales – Argument, mit dem sich ein Produkt oder Unternehmen klar positionieren kann. Nämlich einem zusätzlichen Teil unserer Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, gleichberechtigt teil zu haben und so auch neue Nutzer und deren Freunde und Verwandte längerfristig zu überzeugen.
Einige Beispiele für von uns entwickelte barrierefreie Apps und Webseiten finden Sie hier:
Weiterführende Informationen finden sich in einem Dr. App Interview zum Thema „mobil drauf statt Hürdenlauf„.